Unser Hausberg ist wahrlich sagenumwoben. In unserer Serie haben wir nun einige dieser bekannten und vielleicht auch unbekannten Sagen zusammengestellt. Ein Blick lohnt sich!

Im Voldertal, an der Höhe wo der Glungezer seinen Fuß niedersetzt und heute die Tulfeinalm liegt, existierte einst eine gar liebliche Alm. Dort hatte ein friedlicher Hirtenkönig seinen Palast, den er mit seinen vier überaus reizenden Töchtern bewohnte. Rings um den Palast breitete sich ein herrlicher Garten aus. Auf grünen, hochalpinen Matten wuchsen wunderbare Blumen und herrlich frische Quellen und Bächlein zeichneten ein gar fabelhaftes Bild und riefen die unterschiedlichsten Lichteffekte hervor. Auf den weiten Wiesenflächen weideten ganze Herden von friedlichen Alpentieren, denen sich die Königstöchter zugetan zeigten und mit denen sie viel Zeit verbrachten. Oftmals kamen die hübschen Mädchen aber auch ins Tal herab in die Hütten der armen Hirten und kamen ihnen zu Hilfe, weshalb sie diese wie Schutzgeister verehrten.

Dieses friedliche Glück wurde aber jäh gestört, als sich ein ungeschlachter Riese in das herrliche Bergparadies verirrte und sich hoch oben am Glungezer eine Höhle einrichtete. Dies war nun das Ende der friedlichen Zeiten: des Nachts stieß der Riese stets furchtbares Gebrüll aus, dass sogar die Felsen zersprangen und gewaltige Muren in die Täler niederprasselten. Der Riese erkundete jedoch auch immer wieder die Umgebung und eines Tages stapfte er auch über die lieblichen Almwiesen rund um das Königsschloss. Ale er die vier hübschen Töchter des Hirtenkönigs sah, überkam ihn die Lust, eine von ihnen zu freien.

Hierfür putzte er sich so schön heraus, wie es nur ging. Er besetzte seinen Bärenfellmantel mit neuen Klapperknöpfen, riss einen sehr schönen Baum als Wanderstab aus und strich sich mit seinen kralligen Händen ein paar Mal durch sein borstiges, wirres Haar. Nun glaubte er, für die Brautschau bereit zu sein und stieg hinab auf die Tulfeinalm.

Als der Riese vor den König trat und ihn um die Hand einer seiner Töchter bat, erschrak jenem das Herz im Leib. Obwohl er den Riesen am liebsten abgewiesen hätte, teilte er ihm mit, dass seine Töchter die Freiheit genießen würden, ihre Ehegatten selbst auszuwählen. Wenn eine von ihnen die Werbung des Riesen annähme, so solle es dem König recht sein. Daraufhin machte sich der Riese so niedlich wie möglich. Obwohl er sich sehr bemühte, waren alles, was er erreichte, vier Körbe von den Königstöchtern.

Darüber wurde der Freier derart aufgebracht, dass er auf furchtbare baldige Rache sann. Bereits in der folgenden Nacht rollte er haushohe Felsblöcke vom Glungezer gegen die Tulefinalm herab, die gegen das Schloss prallten und es samt seinen Bewohnern vor sich herschoben. Immer mehr Blöcke stürzten auf das Schloss und schoben es schließlich bis zu einem Wildsee, in dessen Tiefen es mit all seinen Bewohnern versank. Die nachstürzenden Blöcke deckten das versunkene Schloss zu und füllten den See fast zur Gänze an. Was von diesem dunklen Gewässer noch übrig blieb, heißt jetzt der „Schwarzbrunn“. Man sagt, dass um ihn herum das Schweigen des Todes lagert.

Als die Rache des Riesen gesättigt war, überkam ihn bittere Reue ob seiner furchtbaren Tat. Nächtelang saß er am Ufer des Wildsees und trauerte über den von ihm herbeigeführten Tod der vier unschuldigen Königstöchter und deren Vaters. Er starrte in das Gewässer und heulte so heftig, dass es sogar die Steine erbarmte, die deshalb ganz mürbe und spröde wurden. Sogar die Höhle des Riesen wurde instabil und Steine stürzten von ihrer Decke herab. Und schließlich hat sich der Riese selbst verwunschen und wurde zu einem Zwerg. Die Königstöchter jedoch wurden in Seejungfrauen verwandelt, die in hellen Mondnächten erschienen und über dem silbrigen Wasser schwebten. Am Ufer des Sees jedoch sah man einen kleinen grauen Zwerg sitzen, eine kümmerliche, mit Baumbart überwachsene Gestalt, die ihre Hände verlangend nach den lichten Gestalten ausstreckte, die über dem Wasser schwebten. Diese aber lösten sich dann in Nebelschwaden auf und der Zwerg stürzte in den See zurück, dass es spritzte und toste, wie wenn ein Felsblock ins Wasser gestürzt wäre. Dort im kalten Wasser kühlte er seine Liebesglut.

[Zum Namen Glungezer]

Die Bezeichnung „am Glungezer“ wurde ursprünglich für die Gegend oberhalb der Tulfeinalm verwendet, wo das Wasser glucksend unter Blockwerk dahinfließt, ein Vorgang, der im Volksmund „glunggezen“ genannt wird. Mit der Zeit wurde die Bezeichnung auf den Berg übertragen, der seitdem Glungezer genannt wird (Finsterwaldner 1990).

Aus dem Buch „Im Reich des Patscherkofel“, herausgegeben von Michael Unterwurzacher (ISBN 978-3-8391-0419-4).

#MeinPatscherkofel